Eine nicht gehaltene Haushaltsrede 2021

In der Ratssitzung vom 2. März 2021 wurde der Haushalt der Gemeinde Roetgen für das Jahr 2021 einstimmig verabschiedet. Um in Pandemiezeiten die Sitzung abzukürzen, haben sich alle Fraktionen darauf verständigt, ihre Haushaltsreden nicht zu halten, sondern sie dem Protokoll schriftlich beizufügen.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe Kolleg*innen, meine Damen und Herren,


um es gleich zu Beginn zu sagen, wir stimmen dem Haushalt in diesem Jahr zu.

Diese Zustimmung erfolgt nicht, weil die von uns in den letzten Jahren immer wieder herausgearbeiteten Fehler in der Haushaltspolitik korrigiert worden wären. Diese bestehen nach wie vor – und davon wird noch zu reden sein – und sie werden noch lange unsere Gemeinde belasten.

Gründe unserer Zustimmung sind:

  1. Die Fehler der vergangenen Jahre sind wie vergossene Milch. Sie stinken zwar, aber wir müssen damit leben. Allerdings muss geklärt werden, wie wir die dadurch entstehenden Folgekosten stemmen können.
  2. Zumindest sehen wir ein Bemühen, keinen weiteren Personalausbau zu betreiben.
  3. Der Haushalt ist, wenn man einige Besonderheiten berücksichtigt, in diesem Jahr in seinem Kern nahezu ausgeglichen. So kommen von dem Fehlbetrag von 617.000 € 404.000 € nur dadurch zustande, dass Investitionen rund um den Pferdeweiher durch die Beteiligung anderer Träger öffentlicher Belange bilanzwidrig als Ausgaben zu verbuchen sind, obwohl sie nach Fertigstellung eine Erhöhung unseres gemeindlichen Vermögens in deutlich größerer Höhe darstellen. Auch der restliche Fehlbetrag muss mit dem deutlichen Überschuss des Vorjahres im Zusammenhang gesehen werden.
  4. Es wurde auf weitere Steuererhöhungen verzichtet.
  5. Es wurden die haushalterischen Voraussetzungen für mehrere zukunftsweisende Maßnahmen geschaffen. Dazu gehören das Kooperationsprojekt interkommunale Zusammenarbeit Bauhöfe, Fachkonferenzen für nachhaltige Waldwirtschaft und das Projekt „menschenwürdig Altwerden in Roetgen“, erstmalig Mittel zur Förderung des Klimaschutzes (wie lange haben wir dafür gekämpft!), mehr für die Vereine, Mittel für den Denkmalschutz und Sicherung unseres Infrastrukturvermögens.

Gefreut hat uns, dass diese Maßnahmen, von der Verwaltung und verschiedenen Fraktionen vorgeschlagen, aber dennoch von allen mitgetragen wurden – vielleicht Ausdruck einer neuen Art der Zusammenarbeit im Gemeinderat Roetgen.

Aber damit sind die grundlegenden Probleme der Haushaltspolitik nicht gelöst. Im Gegenteil. Seit vielen Jahren wissen wir, dass Roetgen ein strukturelles Problem im Haushalt hat. Wir haben zu wenig Einnahmen im Verhältnis zu unseren Aufgaben und Ausgaben. Seit 2012 wurden deshalb die Steuern massiv erhöht. Die Bürger*innen und Gewerbetreibenden zahlen in 2021 ca. 1 Mio. mehr Steuern pro Jahr als zu Beginn der Amtszeit unseres Bürgermeisters Ende 2015, genau 988.475 € mehr pro Jahr. Leider wurden die Personalausgaben in genau dem gleichen Zeitraum um 49.5 % oder 1.128.790 € erhöht. In nur 5 Jahren! Wesentliche Ursache dafür ist die Ausweitung des Personals in diesem Zeitraum um 27 %. Das bedeutet, die Mehreinnahmen, die eigentlich zur Beseitigung des strukturellen Defizits gedacht waren, wurden vollständig für mehr Personalausgaben verbraucht.

Anstatt alle Kraft auf die Verbesserung der Effektivität (also machen wir die richtigen Dinge?) und die Effizienz (machen wir die Dinge richtig?) zu konzentrieren, wurde der einfache Weg gewählt: Mehr Personal einzustellen. Und das hat Folgen:

Wir müssen planmäßig in den Jahren 22 bis 24 mit einer schwarzen Null abschließen und damit die Haushaltssicherung verlassen, um wieder verstärkt in die Zukunft investieren zu können. Die gegenwärtige mittelfristige Finanzplanung erweckt auch den Eindruck, dass dies gelingen wird.

Dafür unterstellt die Planung aber, dass unser Anteil an der Einkommensteuer um sage und schreibe 1 Mio. € von 5,9 auf 6,9 Mio. € oder 17 % innerhalb von nur 3 Jahren steigt. Dabei können wir wegen der Corona-Spätfolgen heilfroh sein, wenn unser Anteil überhaupt stabil bleibt. Auch die Annahme, dass die Regionsumlage bei der kritischen Einnahmesituation des Staates in drei Jahren nur um 4.4 % oder knapp 400.000 € steigen wird, ist eher unwahrscheinlich. Die Steuererhöhungen und die gute Konjunktur der letzten Jahre wurden nicht genutzt, um die Verwaltung besser und effektiver aufzustellen. Jetzt kommen eher schwierige Jahre. Das wird sich bitter rächen. Wir gehen davon aus, dass uns strukturell und langfristig nach wie vor mindestens ½ bis 1 Mio. € pro Jahr fehlen wird. Nach 10 Jahren Haushaltssicherung stehen wir da, wo wir zu Beginn standen. Wir haben nichts erreicht.

Und wir brauchen diese zusätzlichen Einnahmen, denn Roetgen steht wie alle Kommunen vor sehr großen Herausforderungen. Lassen Sie mich dazu nur vier Bereiche herausgreifen.

1. Die Digitalisierung
In der Zeitung wurde zwar verkündet, die Digitalisierung der Roetgener Verwaltung sei abgeschlossen, aber jeder kann erleben, dass sie noch nicht einmal richtig angefangen hat.
Kann ein(e) Bürger*in irgendeinen Verwaltungsvorgang über Internet abwickeln? Bekommen wir Bürger*innen eine Pushmeldung, wenn in unserer Straße irgendeine Baumaßnahme geplant ist? Ist unser Ratsinformationssystem so aufgebaut, dass jede Bürger*in einfach jede Information, die sie braucht, holen kann und sich für Folgeinformationen anmelden kann? Oder ganz einfach, ist garantiert, dass eine Bürger*in eine Antwort bekommt, wenn sie eine Mail an die Gemeinde schreibt? Nein ist es nicht, wie uns Bürger berichtet haben.

Haben wir eine bürgerorientierte Vorgangsbearbeitung, die es ermöglicht, dass wir alles, was uns betrifft, über eine Kontaktperson endgültig abwickeln können? (in der Wirtschaft nennt man das One-Stop-Service). Von Open Data oder E-Gouvernement möchte ich noch gar nicht reden. Am 19.6.2020 hatte die Landesregierung eine Fachtagung: „Geht Digitalisierung auch in den kleinen Kommunen?“mit 500 Teilnehmern. Hat Roetgen daran teilgenommen? Wir haben noch nichts davon gehört. Wir kennen keine Gesamtstrategie, wie die Digitalisierung der Kommunalen Verwaltung schnell vorangetrieben werden kann. Nach Auffassung der Landesregierung können hier auch Einsparpotentiale von bis zu 50 % erreicht werden, womit wir wieder beim Haushalt sind.

2. Weiterentwicklung der Mobilität:
Es ist ganz offensichtlich, dass nur durch integrierte Systeme vom Auto über Bus und Bahn eine moderne, schnelle, bequeme und zugleich klimaneutrale Mobilität erreichbar ist. Mit dem Netliner ist ein allererster Schritt getan, aber der Übergang zu bedarfsgerechten On-Demand-Systemen, Verwaltung und Lieferservice integrierende Car-Sharing Angeboten, Vollausstattung mit E-Zapfsäulen usw. ist es noch ein weiter Weg. Nicht immer ist eigenes Geld der Gemeinde, aber immer Organisation, Planung und Unterstützung erforderlich. Die Klimakrise wartet nicht, bis Roetgen Zeit und Geld hat. Und damit wären wir beim dritten großen Thema. Klimaschutz und CO2-Neutralität.

3. Maßnahmen gegen die Klimakrise
Der Gemeinderat hat einen Arbeitskreis CO2-Neutralität eingesetzt. Alle haben inzwischen erkannt, dass Roetgen so schnell wie möglich in allen Bereichen auf CO2-neutrale Energieversorgung umsteigen muss. Das betrifft Strom, Wärme, Mobilität und am Ende auch Baustoffe und Materialien. Wir haben dafür noch ca. 15 Jahre. Klimafieber ist eine Pandemie, wogegen es keine Impfung, nur Vorsorge gibt. Es geht dabei nicht so sehr um Naturschutz. Die Natur passt sich immer neu an. Es geht vor allem um die Existenzgrundlage für Milliarden von Menschen. Hier müssen auch wir in Roetgen gezielt und richtig investieren und die Bürger*innen unterstützen.

4. Erhalt der Artenvielfalt
Und wo ich hier über die menschliche Existenzgrundlage rede. Ein Übel kommt selten allein, und alle haben die gleiche Ursache: Der Raubbau an den Ressourcen der Erde und Natur, als gäbe es kein Morgen. Aber der Morgen hat begonnen, und wir sind schon mitten in der 6. und vielleicht größten auf jeden Fall schnellsten Artenvernichtung in der Geschichte des Lebens auf dieser Erde. „Die Situation ist dramatisch. Der Handlungsbedarf akut“, erklärt die deutsche Akademie der Wissenschaften Leopoldina zum Zustand der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft. Das zwingt uns auch in Roetgen zum Handeln und zwar vor allem in unserem größten Landwirtschaftsbereich, der Forstwirtschaft. Der Umstieg in eine naturnahe Waldbewirtschaftung, die vor allem der Förderung der biologischen Vielfalt dient, muss jetzt gelingen. Wir haben jetzt einen Förster, der diesen Weg gehen will, wir sollten ihn dabei tatkräftig und auch mit finanziellen Mitteln unterstützen.

Das sind nur vier große Aufgabengebiete, die Roetgen bewältigen muss, wofür wir auch Mittel und Menschen brauchen. Wie gesagt, mindestens ½ bis 1 Mio.€ mehr Nettoeinnahmen. Um ½ Mio. € mehr Nettoeinnahmen für unseren Haushalt zu generieren, müssen wir aber mindestens 1,5 Mio. mehr Steuereinnahmen beschaffen, denn mehr als 2/3 davon muss die Gemeinde als Regionsumlagen an die StädteRegion wieder abgeben, außer bei der Hundesteuer und Bettengeld von Touristen. Weitere Steuererhöhungen schließen wir aber aus, denn die Bürger*innen und Unternehmen sind schon bis über die Grenze belastet. Woher können also Einnahmen kommen?

Eine Möglichkeit wäre: Steigerung der Einwohnerzahl. Dafür bräuchten wir aber mindestens 1.500 mehr Einwohner, denn pro Einwohner bekommt Roetgen aus verschiedenen Quellen ca. 1.000 € Steuereinnahmen pro Jahr. Wollen wir das? Wollen wir noch mehr Baugebiete erschließen und Roetgen immer mehr in einen dicht besiedelten Vorort von Aachen verwandeln? Wir haben den Eindruck, verschiedene Fraktionen und der Bürgermeister sind nicht abgeneigt. Wir sind strikt dagegen, weil Roetgen dann seinen Charakter verliert, aber auch weil die Folgekosten eines solchen Einwohnerzuwachses deutlich höher wären als die Mehreinnahmen. Wir haben das im Detail berechnet und dem Gemeinderat schon früher vorgelegt.

Deshalb gibt es nur einen Weg: Mehr Arbeitsplätze bei mehr erfolgreichen und zukunftsträchtigen Firmen in Roetgen. In den letzten 5 Jahren ist da eigentlich nichts passiert, kein Wirtschaftsförderungskonzept, keine Strategie. Umso mehr begrüßen wir, dass mit der Firma m3-connect ein IT-Schwergewicht und Marktführer in seiner Branche bereit ist, seinen Hauptsitz nach Roetgen zu verlagern und einen IT-Campus zu entwickeln. Das könnte eine Initialzündung dafür werden, dass Roetgen seine Stärken ausspielen kann, und noch viele weitere IT-Unternehmen nach Roetgen bringen. Vielleicht wird Roetgen doch noch so etwas wie ein Silicon Hill.

Da aber leider letzten September Wahlkampfgetöse offensichtlich wichtiger war als erfolgreiche Wirtschaftspolitik, wurde hier zunächst manches falsch gemacht. Nur eine Stunde Internetrecherche hätte klar gemacht, dass das geplante Private-Public-Partnership Modell schon allein aus
Kostengründen nicht funktionieren kann. Und warum war es nötig, sich fast alle Gewerbetreibende Roetgens zum Gegner zu machen? Es hatte allerdings auch was Gutes, denn endlich haben sich die Gewerbebetriebe entschlossen, ihren Interessen zukünftig mit einem neu gegründeten Gewerbeverein Gehör zu verschaffen. Die Gewerbegebietsentwicklung, so hoffen wir, kommt jetzt auf einen vernünftigen Weg, mit attraktiven Angeboten für Firmen, die die Fördervoraussetzungen erfüllen. Das aber sichtbar gewordene Problem für etliche Unternehmen, die schon lange in Roetgen tätig sind, ist damit nicht gelöst. Wo schaffen wir Platz für die Unternehmen, die mehr Platz benötigen?

Der Gemeinderat hat sich vor einigen Jahren ein klares strategisches Ziel der Wirtschaftsförderung gesetzt. Bisher ist aber nichts passiert. Längst hätten wir eine Vorkaufsrechtsatzung der Gemeinde Roetgen erlassen können, um kleinere Gebiete für nichtstörendes Gewerbe im Ort zu schaffen, wenn Grundstücke auf den Markt kommen. Inzwischen ist nicht nur viel Wasser den Rhein runtergeflossen, sondern viel Fläche in Roetgen verloren gegangen, die dafür hätte genutzt werden können. Ich erinnere nur an Münsterbildchen oder weiterverkaufte Fläche im Gewerbegebiet mit jetzt schlechter Flächenausnutzung. Wir brauchen dringend ein Gewerbeentwicklungskonzept für ganz Roetgen. Die Gewerbetreibenden erwarten jetzt zu Recht von uns eine Antwort, wie wir uns das vorstellen, wenn das neue Gewerbegebiet für viele aufgrund der Förderbedingungen nicht in Frage kommt. Über den für Roetgen mit 10 Mio. Euro Umsatz so wichtigen Bereich des Tourismus will ich hier nicht auch noch reden, er leidet nicht nur unter Corona. Dazu gäbe es viel zu sagen, aber das würde jetzt diese Haushaltsrede sprengen. Wir werden das an anderer Stelle aufgreifen.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe Kolleg*innen,

wir Grünen arbeiten schon lange dafür, dass endlich die menschheitsgefährdenden Risiken, die mit der Klimaerhitzung und dem Artensterben verbunden sind, ernst genommen werden und energisch gehandelt wird. Die Regierung hat bei Corona zumindest teilweise zeigt, dass es geht. Wir haben uns da oft wie Rufer in der Wüste gefühlt. Vielleicht haben wir auch nicht immer richtig kommuniziert. Aber wir haben den Eindruck, dass langsam aber sicher auch andere demokratische Parteien erkennen, dass es nicht mehr ausreicht, nur ein Schild „Ja zum Umweltschutz“ vor sich herzutragen. Wir sehen die Bereitschaft, dass endlich etwas unternommen wird. Hier in Roetgen sehen wir, dass die Gemeinsamkeiten größer als das Trennende sind, aber auch in anderen Fragen wie dem Thema „Menschenwürdig Alt werden in Roetgen“ oder der Verhinderung der Zubetonierung unseres schönen Ortes nehmen wir ein Umdenken wahr.

Wir tragen als Bündnis 90/DIE GRÜNEN das Wort Bündnis in unserem Namen. Bündnisse einzugehen, um wichtige Ziele zu erreichen gehört zu unserer DNA. Wir können und wollen nicht warten, bis wir die Mehrheit im Gemeinderat in Roetgen haben. Deshalb haben wir nach der Kommunalwahl  vorgeschlagen, dass die Fraktionen in unserem Rat sich über die wichtigsten Fragen verständigen und versuchen gemeinsame Lösungen zu finden. Wir haben die Diskussion begonnen, und wir sehen die Bereitschaft bei den anderen Fraktionen und auch schon einen anderen Stil der Diskussion und einvernehmliche Ergebnisse.

Wir haben viele Möglichkeiten, die Zukunft Roetgens zu gestalten, aber wir müssen sie auch ergreifen.

Herzlichen Dank

Für die Fraktion der Grünen
Gudrun Meßing & Bernhard Müller
Fraktionsvorsitzende

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